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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.10.2001
Aktenzeichen: 2 Ws 168/01
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 56 f |
2. Soll eine Strafaussetzung zur Bewährung wegen eines Verstoßes gegen Auflagen und Wesungen widerrufen werden, ist die mündliche Anhörung des Verurteilten grundsätzlich zwingend.
2 Ws 166/01 2 Ws 167/01 2 Ws 168/01
Beschluss
Strafsache
gegen H.W.,
wegen Betruges
(hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich eines Strafrestes in drei Verfahren).
Auf die sofortigen Beschwerden des Verurteilten vom 21. Juni 2001 gegen die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 30. Mai 2001 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 10. 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Tenor:
Die angefochtenen Beschlüsse werden aufgehoben.
Die Sachen werden zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind folgende Verurteilungen des Beschwerdeführers:
- erstens durch Urteil des Amtsgerichts Solingen vom 28. Januar 1998 (42 Js 597/96 = 100 VRs 6398 StA Wuppertal), rechtskräftig seit dem 5. Februar 1998, das gegen ihn wegen Sachbeschädigung und Diebstahls in drei Fällen - begangen im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit wegen Alkoholmissbrauchs - eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt hat, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden, dann jedoch widerrufen worden ist;
- zweitens durch Urteil des Amtsgerichts Solingen vom 21. Oktober 1998 (111 Js 1132/98 = 100 VRs 4725/99 StA Wuppertal), rechtskräftig seit dem 25. Februar 1999, das gegen ihn wegen Beleidigung und Sachbeschädigung - begangen im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit wegen Alkoholmissbrauchs - eine Freiheitsstrafe von acht Monaten festgesetzt hat;
- drittens durch Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 21. Mai 1999 (111 Js 383/99 = 100 VRs 10381/99 StA Wuppertal), rechtskräftig seit dem selben Tag, das ihn wegen Betruges - wiederum begangen im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit wegen Alkoholmissbrauchs - mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten belegt hat.
Nach Verbüßung von zwei Dritteln dieser verhängten Freiheitsstrafen ist in allen drei Verfahren die Vollstreckung der jeweiligen Restfreiheitsstrafe durch jeweils gesonderten Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 20. September 2000 zur Bewährung ausgesetzt worden. Die Bewährungszeit ist auf drei Jahre festgesetzt und er ist der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt worden. Des weiteren wurde er unter anderem gemäß § 56 c StGB angewiesen, sich einer näher bezeichneten Alkoholtherapie zu unterziehen und jeden Alkoholgenuss und Drogenkonsum zu unterlassen sowie jeden Kontakt zur Drogenszene zu meiden.
Mit den angefochtenen Beschlüssen hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum nach schriftlicher Anhörung des Beschwerdeführers die ihm durch die Beschlüsse vom 20. September 2000 gewährte bedingte Strafaussetzung widerrufen. Ihre ohne erkennbaren Grund nicht in einem Beschluss, sondern in drei getrennten und zudem gleichlautenden Beschlüssen gefasste Entscheidung hat sie damit begründet, der Beschwerdeführer habe gegen seine Pflichten aus der Strafaussetzung verstoßen. Er sei nämlich während der Bewährungszeit erneut straffällig geworden und habe durch die Begehung dieser Straftaten gezeigt, dass sich die in ihn gesetzte Erwartung nicht erfüllt habe.
Die Strafvollstreckungskammer stützt sich hierbei auf folgende gegen den Verurteilten anhängige Strafverfahren:
Zum einen ist gegen ihn in dem Verfahren 930 Js 545/01 StA Wuppertal Anklage wegen Diebstahls vor dem Amtsgericht - Strafrichter - Solingen erhoben worden, in der ihm zur Last gelegt wird, am 28. Dezember 2000 unter Alkoholeinfluss in einer Gaststätte in Leverkusen aus dem Rucksack der Zeugin B. eine Geldbörse mit 270,00 DM Bargeld sowie Ausweispapieren und einer Sparkassenkarte entwendet zu haben. Zum anderen hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf in dem Verfahren 610 Js 119/01 gegen ihn Anklage wegen versuchter Körperverletzung, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte sowie Beleidigung vor dem Amtsgericht - Strafrichter - Düsseldorf erhoben. Dieser Vorfall soll sich am 20. Dezember 2000 gegen 18.30 Uhr ereignet haben; eine dem Verurteilten um 20.10 Uhr entnommene Blutprobe soll eine Blutalkoholkonzentration von 3, 07 %o ergeben haben.
Der Verurteilte ist zu diesem Vorwurf jedoch nicht förmlich vernommen worden, sondern er hat am 29. Januar 2001 fernmündlich gegenüber dem zuständigen Kriminalkommissariat u.a. erklärt, er könne zu den ihm zur Last gelegten Taten keinerlei Angaben machen, da er volltrunken gewesen sei und in diesem Zustand dauernd "Blödsinn" mache. Er sei aber bereit, sich wegen seines Handelns zu entschuldigen.
Ein Urteil ist in den beiden vorgenannten Verfahren noch nicht ergangen.
Die Strafvollstreckungskammer hat ihre angefochtenen Widerrufsentscheidungen außerdem darauf gestützt, der Verurteilte habe grob und beharrlich gegen die ihm im Strafaussetzungsbeschluss vom 20. September 2000 gemachten Auflagen verstoßen. Er trinke nämlich nach wie vor im Übermaß Alkohol. Die ihm auferlegte Therapie habe er bis heute nicht angetreten und die Zusammenarbeit mit dem Bewährungshelfer habe sich von Anfang an sehr schwierig gestaltet. Durch dieses Verhalten gebe der mehrfach vorbestrafte Verurteilte Anlass zu der Besorgnis, er werde erneut Straftaten begehen.
Gegen die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer vom 30. Mai 2001 richten sich die rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerden des Verurteilten.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortigen Beschwerden zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 453 Abs. 2 StPO statthaften und rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerden haben einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Zwar würde eine neuerliche Straffälligkeit des Verurteilten grundsätzlich den Widerruf der Strafaussetzungen zur Bewährung rechtfertigen (§ 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Auch ist insoweit nicht erforderlich, dass der Beschwerdeführer wegen dieser Straftaten bereits rechtskräftig verurteilt ist. Der Gesetzeswortlaut fordert nämlich nur die Feststellung einer (neuen) Straftat. Voraussetzung ist aber, dass sich das Gericht, das über den Widerruf zu befinden hat, aufgrund zweifelsfreier Tatsachen - insbesondere aufgrund eines glaubwürdigen Geständnisses - in eigenständiger Würdigung davon überzeugt hat, dass der Verurteilte die neue Tat schuldhaft begangen hat (vgl. OLG Hamm StV 1992, 284, 285; HansOLG Hamburg StV 1992, 286; Tröndle, StGB, 50. Aufl., § 56 f Rdnr. 3 c m.w.Nachw.).
Daran fehlt es hier. Der Beschwerdeführer hat zwar die in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Düsseldorf enthaltenen Taten anlässlich des Telefonats mit dem zuständigen Kriminalkommissariat nicht in Abrede gestellt, will aber aufgrund des genossenen Alkohols keinerlei Erinnerung an den Vorfall haben. Diese Angaben reichen nicht aus, um hierauf den Widerruf der Strafaussetzungen zu stützen, auch wenn die angeklagten Taten auf der Linie der früheren Verurteilungen des Beschwerdeführers liegen.
Soweit die Strafvollstreckungskammer in ihren Entscheidungen darauf abgestellt hat, der Verurteilte habe außerdem grob und beharrlich gegen die ihm im Strafaussetzungsbeschluss vom 20. September 2000 erteilten Auflagen und Weisungen verstoßen (§ 56 f Nr. 2 StGB - es sind nur Weisungen erteilt worden -), konnte der Widerruf hierauf nicht gestützt werden, denn die Strafvollstreckungskammer hat ihn hierzu nur schriftlich und nicht mündlich angehört. Nach § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO soll dem Verurteilten jedoch Gelegenheit zur mündlichen Anhörung gegeben werden, wenn über einen Widerruf wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden ist. Diese Sollvorschrift ist dahin zu verstehen, dass die Anhörung zwingend ist, wenn sie eine weitere Aufklärung verspricht oder wenn ihr keine schwerwiegenden Gründe entgegen stehen (vgl. Tröndle, StGB, 50. Aufl., § 56 f Rdnr. 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 453 Rdnr. 7 jeweils m.w.N.). Eine mündliche Anhörung hätte hier zum einen weitere Aufklärung bringen können, zum anderen standen einer Anhörung nach Lage der Akten auch keine schwerwiegenden Gründe entgegen, da die Anschrift des Verurteilten bekannt war. Mithin war die Strafvollstreckungskammer verpflichtet, vor einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung den Verurteilten mündlich anzuhören.
Nach alledem waren die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen, die auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat, da der Erfolg der Rechtsmittel noch nicht endgültig feststeht.
Eine eigene Entscheidung in der Sache war dem Senat nicht möglich, da die Umstände des dem Verurteilten zur Last gelegten Weisungsverstoßes zunächst von der Strafvollstreckungskammer weiter aufzuklären sind.
Ende der Entscheidung
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